Pflegende Angehörige: Zwischen Liebe, Last und Grenzen
Veröffentlicht von mobiler Pflegedienst am

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TogglePflegende Angehörige: Zwischen Schuldgefühlen, Pflegealltag und der Suche nach sich selbst
Pflegende Angehörige übernehmen in Deutschland einen Großteil der häuslichen Pflege – häufig still, oft über ihre eigenen Grenzen hinaus. Viele rutschen unbemerkt in diese Rolle hinein und erkennen erst spät, was sie wirklich leisten. Dabei entstehen Gefühle, die kaum jemand offen anspricht: Überforderung, Erschöpfung – und Schuld.
Wenn Hilfe zur Pflege wird – und keiner es merkt
Zu Beginn sprechen viele Betroffene nicht von Pflege, sondern von „Hilfe“ oder „Unterstützung“. Auch eine Tochter, die ihre an Alzheimer erkrankte Mutter begleitet, erkannte sich selbst lange nicht als pflegende Angehörige. Sie begleitete zu Arztterminen, organisierte medizinische Unterlagen und übernahm Verantwortung – ein schleichender Übergang, der für pflegende Angehörige typisch ist.
Mit dem Fortschreiten der Krankheit übernahmen sie und ihr Bruder immer mehr Aufgaben – teils vor Ort, teils aus der Ferne. Pflege wuchs in den Alltag hinein, ohne dass ein klarer Startpunkt zu benennen war.
Pflegende Angehörige leisten mehr als Pflege
Pflege bedeutet weit mehr als körperliche Unterstützung. Pflegende Angehörige kümmern sich um Anträge, koordinieren Pflegedienste, kommunizieren mit Krankenkassen und halten den Haushalt am Laufen. Viele merken erst spät, wie viel Zeit, Energie und emotionale Kraft diese Aufgaben kosten.
Ein genauer Blick lohnt sich: Welche Aufgaben fallen täglich an? Wie oft übernimmt man sie? Und was sagt das über die eigene Rolle aus?
Zwischen Selbstaufgabe und Selbstfürsorge
Viele pflegende Angehörige versuchen, Pflege „nebenbei“ zu leisten – zusätzlich zu Beruf, Kindern und Haushalt. Die Folge: dauerhafte Erschöpfung. Wer dauerhaft über die eigenen Grenzen geht, zahlt einen hohen Preis. Schuldgefühle entstehen, wenn man glaubt, nicht genug zu tun – obwohl man längst mehr leistet als viele andere.
Diese Schuldgefühle können sich festsetzen: „Ich müsste mehr da sein.“ „Ich hätte anders reagieren sollen.“ Solche inneren Stimmen belasten – emotional und körperlich. Pflegende Angehörige geraten dadurch in eine Spirale aus Überforderung und Selbstzweifeln.
Pflegende Angehörige und die Macht unrealistischer Erwartungen
Der Wunsch, alles richtig zu machen – als Tochter, Mutter, Berufstätige – führt häufig zu überhöhten Ansprüchen an sich selbst. Die Realität sieht anders aus: Pflege lässt sich nicht „nebenbei“ leisten. Sie braucht Zeit, Struktur, Hilfe – und Verständnis für die eigenen Grenzen.
Wer sich erlaubt, realistische Erwartungen an sich zu stellen, kann wieder klarer sehen: Was ist leistbar? Was braucht Unterstützung von außen? Und: Was kann und darf ich loslassen?
Selbstreflexion als Rettungsanker
Pflegende Angehörige profitieren davon, sich ihre Situation bewusst zu machen. Eine einfache Methode: Ein Brief an sich selbst – liebevoll, ehrlich, mit Abstand betrachtet. Solche Selbstgespräche helfen dabei, die eigene Rolle zu erkennen und anzuerkennen.
Beratungsgespräche, Angehörigengruppen oder Coaching bieten ebenfalls Entlastung. Studien zeigen: Pflegende Angehörige sind hoch belastet – besonders, wenn Demenz im Spiel ist. Die Corona-Pandemie hat diese Belastungen zusätzlich verschärft.
Schuldgefühle verstehen – statt sie zu verdrängen
Schuldgefühle sind mehr als unangenehme Begleiter. Werden sie nicht ernst genommen, können sie die Beziehung zur pflegebedürftigen Person vergiften. Manche reagieren mit Gereiztheit oder Rückzug, andere mit Selbstvorwürfen oder depressiven Verstimmungen.
Sie entstehen oft dann, wenn die eigenen Bedürfnisse dauerhaft übergangen werden. Pflegende Angehörige setzen sich selbst unter Druck, geben zu viel – und verlieren sich dabei aus dem Blick.
Pflege gelingt nur mit Selbstachtung
Pflegende Angehörige dürfen sich fragen: Was gibt mir Kraft? Was brauche ich, um stabil zu bleiben? Kleine Pausen, Rituale, Gespräche mit Freund:innen oder professionelle Hilfe – all das schützt vor Überlastung.
„Man kann nur gut pflegen, wenn es einem selbst gut geht“ – dieser Satz ist kein Klischee. Er ist eine bittere Wahrheit, die zu oft ignoriert wird. Wer ständig übermüdet, gereizt oder traurig ist, kann auf Dauer keine gute Pflege leisten.
Pflege ist Teamarbeit – nicht Heldentum
Pflegende Angehörige müssen nicht alles allein tragen. Aufgaben dürfen verteilt, Hilfe darf eingefordert werden. Nein sagen ist kein Zeichen von Schwäche – sondern Ausdruck gesunder Selbstachtung. Pflege gelingt, wenn sie auf viele Schultern verteilt wird und alle Beteiligten flexibel agieren.
Fazit: Pflegende Angehörige brauchen Anerkennung – und sich selbst
Pflegende Angehörige sind das Rückgrat des Pflegesystems. Doch sie dürfen nicht selbst daran zerbrechen. Schuldgefühle, Überforderung und Selbstzweifel sind keine Schwäche – sie sind Signale. Wer sie erkennt, kann handeln. Und wer handelt, kann langfristig für andere da sein – und für sich selbst.

Natürlich reden alle gern über Pflege. Über Werte. Über Menschlichkeit. Und dass „die Familie ja wieder mehr zusammenrücken muss“. Nur seltsam, dass man von diesen Sonntagsrednern nichts hört, wenn pflegende Angehörige nachts um drei zum dritten Mal aufstehen, um die inkontinente Mutter umzuziehen – und am nächsten Tag trotzdem pünktlich zur Arbeit erscheinen. Während Pflegeminister sich auf Pressekonferenzen durch milde Phrasen retten, zeigt der Pflege-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK gnadenlos, was Sache ist: 76 % der pflegenden Angehörigen empfinden ihre Situation als belastend – psychisch, körperlich, finanziell.
🔗 Zum Pflege-Report der AOK (WIdO)
Das ist keine Momentaufnahme. Auch das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) bestätigt, dass Angehörige in der häuslichen Pflege besonders unter Überforderung und Isolation leiden – besonders bei Demenzerkrankungen.
🔗 Zur ZQP-Studienübersicht
Wer’s nochmal schwarz auf weiß braucht, darf sich gern bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft belesen. Die benennt klar, was viele sich nicht eingestehen wollen: Pflegende Angehörige tragen das Pflegesystem – und zahlen mit ihrer Gesundheit.
🔗 Zur Deutschen Alzheimer Gesellschaft – Angehörige entlasten
Aber hey – Hauptsache, das Pflegegeld wurde erhöht. Um ganze 5 %. Bringt ja fast ’nen Kaffee pro Woche.
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