Dehydratationsprophylaxe in der Seniorenpflege

Definition:
Der menschliche Körper besteht zu 50 bis 60 Prozent aus Wasser. Durch Miktion (Wasserlassen), Defäkation (Stuhlentleerung), Transpiration (Schweiß) und Respiration (Atmung) verliert ein Mensch jeden Tag eine beträchtliche Menge, die durch Flüssigkeitsaufnahme kompensiert werden muss. Als minimale Flüssigkeitszufuhr gelten zweieinhalb Liter Wasser, von denen durchschnittlich eineinhalb Liter über Getränke und ein Liter über die Nahrung zugeführt werden.
Wird die dem Körper entzogene Flüssigkeit nicht ersetzt, kommt es zu einem Defizit im Wasser- und Elektrolythaushalt („Dehydratation“ oder „Exsikkose“). Vor allem Senioren sind gefährdet, da deren Durstgefühl vermindert ist.
Der Körper reagiert schon ab einem geringen prozentualen Flüssigkeitsverlust (gemessen an der Gesamtkörperflüssigkeit) mit Einschränkungen der Funktionen:
  • Ab 3 Prozent nehmen die Speichelsekretion und die Harnproduktion ab.
  • Ab 5 Prozent treten Tachykardie und ein Körpertemperaturanstieg auf.
  • Ab 10 Prozent kommt es zu Verwirrtheitszuständen.
  • Ab 20 Prozent besteht Lebensgefahr.
Faustregel:
Wenn bei einem Menschen ein sehr starkes Durstgefühl auftritt, fehlen dem Körper bereits zwei Liter Flüssigkeit. Wenn die ersten Krankheitssymptome auftreten, umfasst das Defizit rund vier Liter.
Grundsätze:
  1. Prophylaktische Maßnahmen können Dehydrierung vermeiden.
  2. Ausreichendes Trinken lässt sich auch im hohen Alter noch lernen.
  3. Jeder Patient hat das Recht, das Getränk zu sich zu nehmen, das ihm am besten schmeckt. Sofern keine zwingenden medizinischen Diagnosen dem entgegen stehen, kann jeder Patient in Maßen auch alkoholische Getränke wie etwa ein Bier, Wein, Alsterwasser usw. zu sich nehmen.
Kein Patient darf gegen seinen erklärten Willen zwangsweise mit Flüssigkeit versorgt oder zum Trinken genötigt werden.
  1. Ausnahmslos alle Maßnahmen zur Dehydratationsprophylaxe werden sorgfältig dokumentiert.
  2. Eine verminderte Flüssigkeitszufuhr ist kein geeignetes Mittel, um die Anzahl der Toilettengänge zu reduzieren.
Ziele:
  • Eine Dehydratation wird frühzeitig festgestellt und beseitigt. Ein Krankenhausaufenthalt aufgrund einer Dehydratation wird vermieden.
  • Die Ursachen für die Dehydratation werden ermittelt.
  • Der Patient nimmt die individuell notwendige Flüssigkeitsmenge auf möglichst natürliche Art zu sich, also in Form von Getränken und flüssigkeitshaltigen Speisen.
  • Der Patient ist in der Lage, sich möglichst eigenständig mit Flüssigkeit zu versorgen.
  • Invasive Maßnahmen, wie etwa intravenöse oder subkutane Infusionen, rektale Flüssigkeitszufuhr oder PEG-Sonde, werden vermieden.
Vorbereitung:
Symptome
Wir achten auf Symptome, die für eine sich entwickelnde Dehydratation sprechen:
  • trockene Schleimhäute, insbesondere raue, borkige Zunge und trockene Lippen
  • verringerter Hautturgor (Wenn die Pflegekraft eine Hautfalte bildet, bleibt diese nach dem Loslassen für einige Augenblicke stehen.)
  • Urinmenge ist reduziert, Urin ist stark konzentriert und dunkel
  • halonierte Augen, also tief liegende und von ringförmigen Schatten umgebene Augen
  • Blutdruckabfall
  • Tachykardie
  • Kopfschmerzen
  • Müdigkeit und Kraftlosigkeit
  • Mundgeruch
  • Krämpfe
  • Antriebslosigkeit
  • Obstipation
  • Magenbeschwerden und Appetitlosigkeit
  • Schwindel und plötzlich auftretende Gangunsicherheit
  • Verwirrtheit
  • Sprachstörungen
  • plötzlicher Gewichtsverlust
  • Fieber
(Hinweis: Die Aussagekraft des Hautfaltentests wird häufig überbewertet. Nicht bei jedem dehydrierten Menschen bleibt die Hautfalte stehen. Zudem bleibt die Hautfalte auch bei vielen Senioren stehen, die gut mit Flüssigkeit versorgt sind.)
Ursachen und andere erschwerende Faktoren
Wir prüfen, welche Ursachen für die Dehydratation in Frage kommen:
  • Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts und damit verbundener Flüssigkeitsverlust, etwa durch Erbrechen oder Durchfall
  • hohe Außentemperaturen. Der Körper verliert zu viel Flüssigkeit über das Schwitzen und die Atemluft.
  • fiebrige Erkrankungen
  • Flüssigkeitsansammlungen in körpereigenen Hohlräumen, etwa bei Aszites
  • Verschiedene Erkrankungen, die zu einem Flüssigkeitsungleichgewicht führen, etwa Nierenerkrankungen
  • zu wenig Flüssigkeitsaufnahme als Folge mangelnden Durstgefühls
  • zu wenig Flüssigkeitsaufnahme, um einen unfreiwilligen Urinabgang zu verhindern
  • Lähmungen (Hemiplegie oder Fazialisparese)
  • Schluckstörungen; zu wenig Flüssigkeitsaufnahme aus Angst, sich an dem Getränk zu verschlucken
  • mangelnde Einsicht, etwa in Folge dementieller Erkrankungen
  • Unkenntnis über den Flüssigkeitsbedarf
  • Sehbehinderungen
  • Vergesslichkeit
  • Fixierungen, etwa aufgrund motorischer Unruhe oder Selbstgefährdung
  • Immobilität mit der Folge, dass der Patient das Getränk nicht erreichen kann oder den Gang zur Toilette vermeiden will
  • Herzinsuffizienz oder Diuretikatherapie mit medizinisch begründeter Begrenzung der Flüssigkeitsaufnahme
  • Nebenwirkungen verschiedener Medikamente
  • mangelnder Lebenswille
  • Die angebotenen Getränke schmecken nicht
weitere Informationssammlung
Die Ermittlung des bisherigen Trinkverhaltens ist Teil des Aufnahmegespräches. Wenn der Patient etwa in Folge einer Demenz zu klaren Antworten nicht mehr in der Lage ist, befragen wir die Angehörigen.
  • Welche Getränke bevorzugte der Patient in der Vergangenheit?
  • Äußert der Patient den Wunsch nach einem Getränk von sich aus oder muss er von anderen zum Trinken animiert werden?
  • Trinkt der Patient ein angebotenes Glas in wenigen Zügen aus oder nimmt er nur wenige Schlucke und stellt es dann wieder zurück?
Durchführung:
Auswahl der Getränke
Empfehlenswerte Getränke sind Wasser, Früchte- und Kräutertees sowie verdünnte reine Fruchtsäfte.
  • Diverse Tees und Alkohol wirken teilweise entwässernd, sind also als Flüssigkeitslieferanten nur eingeschränkt wirksam. Ungeeignet sind (in großen Mengen) auch Getränke mit einem hohen Anteil an Kohlenhydraten und Zucker, also etwa Cola oder Multivitaminsäfte.
  • Dem Patienten werden stets nur solche Getränke angeboten, die er akzeptiert. Ggf. fragt die Pflegekraft nach, ob ihm das Getränk nicht schmeckt und ob er ggf. ein anderes Getränk bevorzugt
  • Wenn ein Patient Getränke bevorzugt, deren Langzeitkonsum ungesund ist (Brause, Cola usw.), so weisen wir den Patienten auf die negativen Folgen und auf mögliche Alternativgetränke hin. Bleibt der Patient bei seiner Wahl, so haben die Pflegekräfte diese Entscheidung zu respektieren.
animieren zum Trinken / Nutzung von Hilfsmitteln
  • Dehydratationsgefährdete Patienten werden mehrmals am Tag zum Trinken aufgefordert.
  • Patienten, die nicht mehr in der Lage sind selbstständig zu trinken, bieten wir Getränke vor und nach jeder pflegerischen Maßnahme an.
  • Wir bitten Angehörige während eines Besuches, dem Patienten mehrmals Getränke anzubieten und ggf. beim Trinken zu helfen.
  • Dehydratationsgefährdete Patienten erhalten ggf. einen Wackelpudding, da dieser fast vollständig aus Wasser besteht. Weitere geeignete Lebensmittel für heiße Sommertage sind Wassereis, Wassermelonen, Speiseeis, Quark und andere flüssigkeitsreiche Speisen.
  • Wir verwenden in der Einrichtung Gläser und Trinkhilfen mit einheitlichem Füllvolumen, um eine Abschätzung der getrunkenen Flüssigkeitsmenge zu erleichtern
  • Wir halten Trinkgefäße mit Griffvorrichtungen sowie Trinkhilfen mit Ventilen bereit, die sich unter Saugdruck öffnen.
  • Wir stellen sicher, dass sich die angebotenen Getränke stets in Griffweite des Patienten befinden. Sehbehinderten Patienten wird die Position des Getränkes gezeigt.
  • Ggf. nutzen wir Strohhalme als Trinkhilfe. Diese sind der Nutzung von sog. „Schnabeltassen“ vorzuziehen.
  • Am Nachttisch des Patienten sollte stets eine Wasserflasche stehen.
  • Bei warmen Getränken überprüft die Pflegekraft die Temperatur der Flüssigkeit (etwa durch eine Kontrolle an der Innenseite des Armes).
Risikoermittlung
Sofern der Verdacht besteht, dass der Patient zu wenig Flüssigkeit zu sich nimmt, wird das Trinkverhalten eine Woche lang gezielt beobachtet und protokolliert. Die Auswertung dieses Protokolls sollte möglichst zusammen mit dem Patienten erfolgen.
Die Vorgaben des Standards „Flüssigkeitsbilanzierung“ werden umgesetzt.
weitere Maßnahmen
  • Wir achten darauf, dass der Patient beim Trinken korrekt sitzt.
  • Wir achten darauf, ob Patienten die angebotenen Getränke heimlich entsorgen (etwa in den Blumentopf oder eine Vase).
  • Wenn ein Patient unter neurologischen Schluckstörungen leidet, prüfen wir den Einsatz eines Logopäden. Eine Aspiration ist aufgrund einer Pneumoniegefahr zu vermeiden.
  • Der Patient wird über die Bedeutung von Wasser für den Stoffwechsel, den Blutkreislauf, die Niere und die ableitenden Harnwege informiert.
Nachbereitung und weiteres Vorgehen
  • Massive Wasserverluste sollten maßvoll und im Laufe von zwei bis drei Tagen ausgeglichen werden. Eine zu rasche Kompensation kann z.B. ein Hirnödem auslösen. Zudem kann eine bislang kompensierte Herzschwäche entgleisen, wenn die Flüssigkeitszufuhr zu schnell erhöht wird.
  • Anhand der Einfuhr-/Ausfuhrbilanz wird die Dehydratationsgefahr regelmäßig neu bewertet.
  • Bei einer negativen Flüssigkeitsbilanz über mehrere Tage muss zwingend der behandelnde Arzt informiert werden.
  • Alle Beobachtungen, die für eine Dehydratationsgefährdung relevant sind, werden im Berichtsblatt dokumentiert.
  • Die aktuelle Dehydratationsgefährdung wird bei der Erstellung der Pflegeplanung berücksichtigt.
  • Aufgetretene Probleme thematisieren wir regelmäßig im Qualitätszirkel.
Prognose
  • 7 Prozent aller Senioren, die in ein Krankenhaus eingeliefert werden, sind dehydriert.
  • 20 Prozent dieser Senioren versterben binnen eines Monats

Dokumente:

  • Durchführungsnachweis / Pflegebericht
  • Ein- und Ausfuhrprotokoll
  • Trinkplan
  • Pflegeplanung
Verantwortlichkeit / Qualifikation: alle Pflegekräfte